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15.09.2004 Leipzig, Messehalle 7
„Ich muss Euch nun vor allen Dingen
in lustige Gesellschaft bringen...“
(Mephisto zu Faust in Auerbach´s Keller, Leipzig – Goethes Faust um 1806)
Stellt Euch vor Ihr hättet zu Goethes Zeiten gelebt, just als er diese Zeilen schrieb, sagen wir um 1806 oder 1808. Der folgende Text wäre pure Science Fiction:
„Die Fahrt von Hannover nach Leipzig gestaltet sich vorerst entspannt. Die Sonne scheint, der Tank ist voll und die Laune gut. Wir brechen gegen Mittag auf und knallen auf der A2 mit 180 in Richtung Braunschweig/Halle/Leipzig. Linke Spur, vorbei an verwelkenden Landschaften und modernen Rastplätzen. Das Radioprogramm wird immer schlimmer und ich kann mich kaum noch beherrschen. Mittlerweile liegt mein rechter Arm nur noch auf dem Schaltknüppel und mein Zeigefinger auf dem „seek“-button, damit ich sofort den Sender wegdrücken kann, falls etwas schlimmes kommt. Also eigentlich dauernd. Anastacia´s „sick and tired“ führt die Nevensägensongliste an. Bei einem Sendersuchdurchlauf, stoße ich mindestens dreimal auf diesen Song. Wie gerne hätte ich ihre GEMA-Einnahmen von nur einer Woche alleine in Deutschland. Nummer 2 ist dieser eine Kacksong von Maroon 5, den ich schon beim ersten mal hören scheiße fand und gegen den ich mittlerweile ein böses allergisches Reaktionsmuster entwickelt habe. „This love has taken it´s toll“ oder so ähnlich heißt der. Da geht´s um seine Alte, wie bei allen anderen Songs dieser peinlichen Band ja auch. Wen interessiert´s? Song Nr. 3 auf meiner Hassliste ist „Here without you“ von 3doors down. Höre ich etwa Widerworte? Ihr seid ja wie der Till, der findet die drei Songs auch super und singt gerne und laut mit. Bei REM´s „loosing my erection“ hat er heute den „seek“-button mit seiner Hand abgeschirmt, damit ich den Sender nicht wegdrücken konnte. Pfffft!!“
Zurück in die Gegenwart. Leipzig am frühen Nachmittag. Offday! Super, meine Lieblingstage auf dieser Tour sind die Offdays. Die Crew, also auch Till und ich, wohnen im Ramada-Treff. Ein Naja-Hotel irgendwo am Arsch der Welt. Kein Premiere und somit kein Championsleaguespiel heute abend, Werder gegen Mailand. Dafür aber direkt neben einer malerischen Plattenbausiedlung gelegen. Blühende Landschaften hier im Osten. Klar, wenn ich hier wohnen würde, hätte ich auch eine Mordswut. Kein Wunder, dass die hier so radikal unterwegs sind, hier geht ja gar nichts. Hier stinkt´s an jeder Ecke nach Filz und Korruption. Wir kommen genau richtig, Leipzig steht im Wahlkrampf kurz vor der sächsischen Landtagswahl. Als Till und ich in der Innenstadt am Augustusplatz aus der Tiefgarage kommen und mitten in eine CDU Disco-Veranstaltung platzen – („high energy, your love is lifting me“) - schauen wir nach oben in den inzwischen grau bewölkten Himmel und genau über dem Kroch-Hochhaus und der Dresdner Bank, über einer übel nach Illuminatenkunst aussehenden, eisernen Gussplastik – zwei Typen knüppeln auf eine Glocke ein „Omnia Vincit Labor“ – kreist ein Sportflugzeug mit einem Spruchband: „Wählt NPD!“ steht da drauf. Wo ist meine Kamera? Was für ein finsteres Motiv. Wie ich höre, kreist dieses Flugzeug auch über den Montags-Demos gegen Hartz IV. Leipzig braucht dringend Hilfe, aber denen hilft hier keiner, wenn die sich nicht selber helfen. Jedenfalls nicht die ganzen Polit-Kasper, die man von jedem, aber auch jedem Laternenpfahl heruntergrinsen sieht. Ronald Pohle (CDU) verspricht einen „klaren Kurs für Sachsen“. Wo der hinführen soll, bleibt vorerst sein Geheimnis. Christine Clauß (auch CDU), die aussieht, wie eine in die Jahre gekommene militante Fetisch-Lesbe mit dreißig Jahren Erfahrung in grottenschlechtem Langeweile-Sex, oder noch schlimmer Jutta Schmidt (schon wieder CDU), die mit dem Spruch „wo Jutta Schmidt draufsteht, ist auch Jutta Schmidt drin“ für sich und irgendein dubioses Programm wirbt. Wenn man die sieht, möchte man hoffen, dass die Jutta-Schmidt-Dose für immer verschlossen bleibt, damit Jutta Schmidt niemals rauskommt. Um die Vorzeige-Fratzen der anderen Parteien und deren Spitzenkanditaten ist es nicht besser bestellt. Thomas Jurk (SPD) will Sachsen sachsengerecht in neuen Schwung versetzen, kommt aber mit seinen Floskeln und Versprechungen höchstens aus dem Tritt. Ich frage mich, wann die Politik wohl damit aufhört, uns diese nichtssagenden Gesichter im Zusammenhang mit leeren Lockphrasen verkaufen zu wollen? Wer fällt denn auf so etwas noch herein? FDP, PDS, Grüne? Lächerlich. Wer auf die setzt, ist verloren. Und was das Flugzeug über dem Platz heute angeht, kann ich als Onkelzfan nur eins sagen: Wer NPD wählt, küsst dem Teufel den Arsch, oder, wo wir schon mal in Leipzig sind, können wir Mephisto auch gleich selbst zu Wort kommen lassen: Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte!
Von diesem Politzirkus auf dem Augustusplatz merklich angekotzt, ziehen wir uns in die Fußgängerzone zurück und inspizieren, als echte Goethefans pflichtbewußt Auerbachs Keller in der Mädler Passage. Das sind wir der deutschen Lyrik schuldig. Wir überlegen für einen Augenblick, schnell noch zwei Reclam Ausgaben „Der Tragödie erster Teil“ zu besorgen und hier in dieser über 500 Jahre alten Kellerkneipe Gustav-Gründgens-mäßig auf einem Faß sitzend aus, na klar, „Auerbachs Keller“ zu zitieren, suchen aber stattdessen das Weite. Draußen werde ich von einem als Flannell-Sandwich verkleideten Mann aufgehalten, der mir Subway-Gutscheine andrehen will. Till wirft ein, dass bevor er so einen Job annehmen würde, er eher als kleiner Thai-Junge verkleidet auf den Strich ginge. Hm, ich denke Gründgens hätte seine wahre Freude an Dir gehabt Till, auch an Deiner frechen Zunge.
Ab zur Messehalle am Tag darauf, also heute. Nur gut, dass dieses Ding bald abgerissen wird. In der Tat die hässlichste Halle auf der gesamten Tour. Also wenn die eins nicht gehabt haben im Osten, dann war das Style. Dagegen ist die Saarlandhalle ja ein wahres Wallpaper-Objekt modernster Architektur, ein fein geschliffener Diamant cosmopoliter Urbanität. Irgendwie sieht´s aber auch wieder geil aus. Ich kann mir nicht helfen. Die abblätternden Farben und die ganze kranke Morbidität passen vielleicht gar nicht so schlecht zu unserer Adios Tour und unserem sozialistisch-kubanisch angehauchten „La Ultima“-Design. Das Onkelzkonzert ist das letzte große Konzert in der Messehalle 7. Rammstein werden hier noch ihre Vorproduktion durchziehen, so wie wir in Kreuth und am Samstag ist noch einmal Nachtflohmarkt, aber danach wird das Teil platt gemacht.
Die Wonderfools werden heute sehr freundlich empfangen und zum ersten mal auf der Tour tatsächlich abgefeiert. Nicht nur fliegen keine Becher, zeitweise klatschen zwei Drittel der Halle im Takt und die Norweger ernten am Ende ihres Sets einen anständigen Applaus. Die Jungs sind überglücklich.
Pünktlich um 21:00 betreten die Onkelz die Bühne und legen gleich mit ihrem Leipziger Allerlei los, (somit hätten wir das Wortspiel auch abgefrühstückt!) Vollgas, was anderes kann man dazu nicht sagen. Der Leipziger ist ein hochmotivierter und dankbarer Onkelzfan. Jeder Song wird gefeiert, jede Note honoriert. Bei der Wahl „Wieder mal ´nen Tag verschenkt“ „rockig“ oder „akkustik“ gehen die Leute so dermaßen ab, dass die Onkelz einfach beide Versionen hintereinander spielen. Stephan hatte sich schon vor ein paar Tagen vorgenommen hier noch einmal ins akute Wahlgeschehen einzugreifen und eine entsprechende Anti-NPD Ansage zu machen, was er zwischen „Nie wieder“ und „Immer auf der Suche“ dann auch tut. Die NPD habe immer wieder versucht die Onkelz zu instrumentalisieren, sagt er, und dass er auf diese Rattenfänger und Wichser keinen Bock habe. Man solle diesen Vollidioten keinen Raum überlassen und auf keinen Fall seine Stimme geben, noch nicht einmal aus Protest. Das Publikum applaudiert stürmisch.
Ob´s alle verstehen, wird sich noch herausstellen, aber jede Nichtstimme zählt, oder? Zu diesem Thema gibt es übrigens eine schicke Skulptur in der Grimmaischen Straße, der Leipziger Fußgängerzone. Ein stramm marschierendes Männchen mit langen Beinen und ebenso langen Armen aber mit einem zu klein geratenen Kopf, sprich mit wenig Gehirn, steht dort vor dem Zeitgeschichtlichen Forum. Einen Arm zum Hitlergruß ausgestreckt, den anderen Arm mit der sozialistischen Faust grüßend in den Himmel gereckt, gemahnt das Männchen an die beiden totalitären Systeme, die übrigens beide scheiße waren. Das aber ist das Merkwürdige an den neuen Nazis. Die Großeltern wurden von Atze Hitler verarscht, die Eltern wurden von Honnecker verarscht und diese Generation hofft nun ihrerseits auf die erfolgreiche dritte - die eigene - Verarschung. Die Kopie einer Kopie einer Kopie.
Von dieser beschissenen Stimmung ist in der Messehalle 7 jedenfalls nichts zu merken. Die Halle rockt, der Leipziger ist völlig aus dem Häusschen. Überhaupt macht der Ostler hier eine recht lockere und aufgeschlossene Figur. Das gilt zumindest für die vielen strippenden Mädels während der Umbaupause.
Gut, die Tage der Messehalle sind also gezählt. So wie die der Onkelz übrigens auch. Sagte ich eingangs des Tourtagebuches nicht: Natürlich wird diese Tour von einer dunklen Wolke begleitet, die sich bedrohlich düster und fett über jeder Halle einpendelt und so, wie es aussieht, zum Ende hin zu einem echten Monster anschwellen wird. „DIE LETZTE TOUR“ fettgedruckt, steht auf dieser Wolke. Ja, was soll ich dazu sagen? Ich weiß es zwar, aber ich vergesse es immer wieder, wenn ich hier durch die Gegend laufe.
Die Hälfte der Tour ist um. Die Wolke von der ich oben sprach wird fetter und größer und hat schon „Twister“-mäßige Bedrohlichkeit angenommen. In Hamburg werden sich die Emotionen Bahn brechen und alles fortspülen, was ihnen im Wege steht. Hoffentlich nicht auch den gesunden Menschenverstand. Ich jedenfalls hoffe auf ein furioses Tourende mit einem Feuerwerk an guter Laune und Spielfreude und nicht auf einen Onkelzabgesang mit Friedhofsstimmung und Tränenflut.
Egal... es ist spät. Macht was draus und schlaft gut. Übermorgen fällt Berlin. Ich höre schon, wie sie in den Redaktionen von taz und BZ und Tagesspiegel und Zitty ihre Messer wetzen und ich kann schon schnuppern, wie sie sich auf diesen Event freuen. Karten haben sie ja keine, aber schreiben werden sie, als wenn sie dagewesen wären und als wenn es das Schlimmste und Prolligste und überhaupt Niveauloseste gewesen ist, was sie jemals zu sehen bekommen haben. Großer Journalismus, auf den ich mich wirklich freue. Ich liebe die Berliner Presse...
Schluß jetzt
Gruss
Ed
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