![]() |
||
05.10.2004 Hamburg, CWenn es etwas gibt, mit dem wir uns nicht zurückhalten und mit dem wir auch nicht gerade sparsam umgehen hier auf der Onkelztour, dann sind das Superlative. Till hatte es bereits angesprochen, aber ich muss es noch einmal wiederholen, Dortmund II war das Größte, was die Welt des Rock´n Roll je gesehen hat. Größer als Ozzy, der im Executive-Meeting einer lebendigen weißen Taube den Kopf abbiss, größer als Jimmy Hendrix´ epochale Interpretation des „Starspangled Banner“ am Woodstockmontag, als er seiner Gitarre Bombenteppiche, Schmerzensschreie und ein weithinhörbares und höchst regimekritisches Anti-Vietnam-Gequietsche entlockte, größer noch als Joan Baez´ „We shall overcome“ auf den Stufen des Lincoln Memorial, nachdem Luther-King seine Rede mit „I have a dream...“ begann und auch sicherlich größer als Frank Zappas Schiss auf die Bühne. Naja, „let´s leave the church in the village“, wenigstens aus meiner Sicht, denn bei den aufgezählten Ereignissen war ich nicht dabei. Aber in Dortmund II 2004 war ich dabei und hatte zum Ende hin eine hübsch kultivierte Ganzkörpergänsehaut. Wo gibt´s denn sowas? Da hocken oder knieen sich die Fans im Innenraum bei „Ihr hättet es wissen müssen“ doch glatt auf den Boden. So eine spontane und hingebungsvolle Geste des Respekts und der Dankbarkeit hat es – so viel ich weiß – in der Geschichte der Rockkonzerte noch nicht gegeben. Ok, vielleicht bei den Grateful Dead, aber da ist die Belegschaft geschlossen auf LSD und man kann nicht genau sagen, was die eigentlich sehen, also zählt das nicht. Auf der Bühne? Verwirrung, offene Münder. Die Band ist konsterniert, gerührt, schockiert, sprachlos. Ob das in Hamburg zu toppen sein wird? Keine Ahnung, muss es das überhaupt? Ist doch vollkommen egal. Kann man das nicht einfach so stehen lassen?
Hamburg? Wen interessiert der Stress im Vorfeld? Keinen Menschen, habe ich oft genug erwähnt und jeder kann sich denken, dass so ein Abschlusskonzert Anstrengung bedeutet und Stress mit sich bringt. Die Fakten? Würde ich gerne berichten, weiß aber nicht, ob das nicht zu intim ist. Nur soviel, es wurde bandintern schon vor dem Konzert geweint und geredet und sich in den Arm genommen und die Stimmung war... hmm... traurig bis katastrophal. Wer genau hingehört hat, dem ist aufgefallen, dass Kevins „Jaaaa“, als er auf die Bühne kam, ungefähr fünf mal so lang war, wie sonst und dass die Band förmlich explodierte. Die Anspannung musste raus, dringend, und die Schwere des Augenblicks, die Last der Situation musste einfach weggespielt werden. Da war sie, die große schwarze Wolke und sie entlud sich mit allem, was sie hatte. Das hat sich natürlich auch spontan auf das Publikum übertragen und es wurde gesungen, geschrieen und gebrüllt, wie selten. Der Innenraum war in zwei Hälften unterteilt worden. Schlau wie unsere DVD Filmer nun mal sind, haben sie nicht ganz so viele Leute unmittelbar vor die Bühne gelassen, damit nicht so viel gedrückt werden konnte und die Security nicht so viele Leute rauszuziehen hatte. Aus dem einfachen Grunde, weil der komplette Graben mit Kameras zugestellt und von Kameraleuten, Kabelträgern und Fotografen belagert war. DVD-Traffic. Wenn diese Bilder rüberkommen und der Regisseur in der Lage ist, das ganze Thema objektiv zu beleuchten, dann wird das eine ziemlich sensationelle DVD werden. Gut, die Onkelz also. Man hat sich verspielt und auch schon mal versungen oder verhaspelt, aber letztendlich dennoch das totale Live-Brett abgeliefert. Ungehobeltes gehört zu einem Live-Konzert, sonst wäre es ja nicht live. Ich habe auf dieser Tour eine Menge Leute dabei gehabt, die zum ersten mal ein Onkelzkonzert gesehen haben und allen ist die Kinnlade runtergefallen. Mein Ami-Freund aus Massachusetts hatte es in Frankfurt schon in Worte gefasst. „I have tickets to see Green Day next month. I won´t go, fuck Green Day, after seeing the Onkelz, I can´t see another Rock´n Roll Show anymore.That´s it. There is nothing like it.“ Das ist das Dilemma, nach so einer Onkelzshow liegt die Latte hoch, das ist nur schwer bis gar nicht zu überbieten. Achja, Thomas Hess traf Udo Lindenberg im Atlantic Hotel und wieder einmal wurde er eingeladen und wieder sagte er, er würde kommen und wieder einmal kam er nicht. „Dumm gelaufen Udo, Du hast es wieder verbockt und verpasst und wirst es nicht mehr nachholen können. Selbst Schuld.“
Was gab´s noch? Einen handgeschriebenen Brief von Peter Maffay zur Bandauflösung, persönlich adressiert an Stephan Weidner, den Maffay-Managerin Kathy Standley (eine gute Freundin von Stephan und mir) an Bandbetreuer Axel übergab und den Axel dann ganz locker irgendwo liegen ließ, bis es ihm einfiel und er plötzlich kreidebleich wurde. Ach-Du-Scheiße! Ein gefundenes Fressen für e-bay Anbieter. Wer würde dafür nicht ein paar Euros zahlen? Also sah man Axel schweißnass durch die Gegend rennen, fahrig und genervt und dem Kollaps nahe. Der Brief wurde gefunden (im BOSC Bus, auf dem Fußboden unter dem Tisch), übergeben an Axel und von Axel an Stephan und Axel musste sich mal kurz setzen, durchatmen und einen Schnaps runterstürzen. Wir haben sehr gelacht.
Die Show war mehr als furios. Ob das Hamburger Publikum das von Dortmund getoppt hat, kann ich nicht sagen und es ist mir auch egal. Es waren Onkelzfans und Onkelzfans gehen ab, traditionell, schon immer, die können nicht anders, die müssen Vollgas geben und so gab auch Hamburg Vollgas. Von der ersten bis zur letzten Note. Irgendwann holte Stephan Thomas Hess auf die Bühne, stellte ihn dem Publikum als „fünften Onkel“ vor und nahm ihn in den Arm, was sogar dem harten Hess die Tränen in die Augen trieb. Thomas Hess war es auch, der irgendwann drei gepiercte, tätowierte, bestrapste und aufsilikonierte Mädels vom Kiez reinbringen ließ, die zunächst den Fans in den ersten Reihen das Wasser reichten und später bei Mexico im Poncho und mit Sombreros bekleidet auf die Bühne stiegen. Sehr zur Überraschung und auch zur Freude der Band. Halb nackt zappelten die drei dann um Kevin, Gonzo und Stephan herrum. Schade, dass die Jungs von der Security im Graben standen und in die andere Richtung schauen mussten, aber Job ist Job. „So kann ich einfach nicht arbeiten...“ rief mir einer grinsend zu. Und lustig auch, wie eines der Mädels ohne nachzudenken ihren Poncho dem Pe auf´s Schlagzeug warf. Ok, zum Denken waren die ja auch nicht eingeladen worden, gell? Mexico war also der fulminante und energiegeladene Höhepunkt und während der „Stelle zum Tanzen“ flogen auch noch die Bikinioberteile weg und angetan mit Slip, Stifeln, Patronengurten und Pistolen taten die drei Sirenen dann das, was sie am besten konnten, sich bewegen. Nach so einem Ding kann eigentlich nur noch der Absturz kommen. Wir haben zusammen getrunken, getanzt, gefeiert und gelacht, jetzt lasst uns zusammen weinen und Abschied nehmen. Wie Stephan seine Ansage zu „Ihr hättet es wlssen müssen“ dennoch ohne Tränen hinter sich gebracht hat, wird ein Rätsel bleiben. Den ganzen Tag hat ihm schon dieser Stein im Magen glegen. „Die schwerste Ansage meines Lebens“ hatte er mehrfach gesagt. Die Bilder, die ich während dieser Tour sah, werde ich nicht so schnell vergessen. Mir persönlich werden auch ein paar unschöne Dinge in Erinnerung bleiben, aber ich bin mir sicher, dass irgendwann die Zeit den Blick verklären wird und ich alles in einem rosa/gold farbenen Licht betrachten werde. Gott sei gesegnet, dass er es so eingerichtet hat, dass Erinnerungen irgendwann verblassen und nur die wirklich herausragenden Dinge übrig bleiben.
Ich will heute, während meines letzten Tourtagebucheintrags aber noch etwas anderes ausprobieren. Ich habe am Ende des zweiten Dortmund-Gigs eine junge Dame in der ersten Reihe kennengelernt, (siehe Foto 7 bei Dortmund II) Sie heißt Sahar, kommt aus dem Iran, ist in Recklinghausen aufgewachsen, liebt den Pott, studiert Journalismus und ihr Freund, mit dem sie auf dem Konzert war, ist Hard-core Onkelzfans. Auf alle Fälle eine kuriose Mischung, die es unbedingt näher zu beleuchten galt. So habe ich Sahar, ganz im Stile des US-innovativen „embedded journalism“ darum gebeten, doch mal aufzuschreiben, wie sie die Sache wahrgenommen hat. Flugs nach Hamburg eingeladen die beiden und sie ein paar Sätze schreiben lassen. Hier sind ihre Eindrücke:
Es dauert nicht mehr lange bis es endlich losgeht. Allen ist die riesige Anspannung
Anzusehen. Ich muss sagen, ich habe die Organisation einiger Events und Konzerte miterlebt, doch der heutige Abend ist etwas ganz anderes. Es ist nicht nur der gewöhnliche Stress und die Arbeit, die auf allen lastet, was schon genug wäre, hinzu kommen große Emotionen und die Tränen sind nicht zu übersehen. Ich sah Stephan mit verheulten Augen hinter der Bühne und ich muss ehrlich gestehen, mir fehlten einfach die Worte. Es muss ein unheimlich bedrückendes Gefühl sein, wenn man realisiert, dass nach 24 Jahren nun das letzte Konzert ansteht. Ein Gefühl, dass wir nicht nachempfinden können. Auch wenn die Onkelz sich selbst zu diesem Schritt entschieden haben, ist die Entscheidung für sie nicht einfach zu verkraften.
Heute Abend endet in Hamburg die Abschiedstour der Onkelz. Die letzten Vorbereitungen sind getroffen, es geht los.
Der Empfang ist grandios. Die Onkelz haben gerade angefangen zu singen und die Halle bebt. Von Trauerstimmung kann keine Rede mehr sein. Jetzt wird gefeiert. „Heute sind wir Könige für einen Tag.“
Unzählige Feuerzeuge erleuchten die Color Line Arena.
Ihr könnt Euch bestimmt vorstellen wie die Fans in der Arena abgegangen sind, dazu muss ich wohl nichts mehr sagen?! Doch eines noch an diejenigen nicht da waren. Ihr habt was verpasst meine Lieben! Eine gute Show, coole Stimmung und einpaar heiße Mädels, die für Überraschungen gesorgt haben. Doch ich bin sicher, dass das Management sich nächstes Jahr (Lausitzring), zum 25 jährigen Jubiläum der Jungs, viel mehr einfallen lassen wird und das dürft Ihr auf keinen Fall verpassen.
Das Konzert nährt sich dem Ende, die Jungs spielen ihre letzten Songs und dann passiert dass worauf die Onkelz in Dortmund schon nicht gefasst waren. Die Fans knieten vor ihnen und wieder waren sie sprachlos. Stephan überraschte die Menge indem er sich auch vor ihnen kniete und hielt danach eine sehr ergreifende Dankensrede. Alle bedanken sich für die Treue ihrer Fans und verlassen mit Tränen in den Augen die Bühne. Ob es die Onkelz oder ihre männlichen Fans waren, hier wurden aus harten Männern weiche Jungs. Das ist ein Moment den man nur schwer in Worte fassen kann, wenn man ihn nicht selbst erlebt hat.
Schon komisch wie die Dinge sich verändern können. Wenn mir jemand vor einem Jahr noch gesagt hätte, dass ich Onkelz hören, ihre Konzerte besuchen, für bzw. über sie schreiben würde, hätte ich für absolut verrückt erklärt. No way! Tja wie sagt man so schön, es kommt alles anders als man denkt. In dem Fall war es gut so.
Ich muss es kurz erklären; die ersten Erfahrungen, die ich mit Onkelzsongs machte waren leider nicht angenehm. Als Ausländerin nimmt man natürlich alles etwas sensibler auf als die meisten von Euch. Einige Menschen, die mich aufgrund meiner Nationalität ablehnen, identifizieren sich mit den Songs der Onkelz. Diese Leute haben leider immer noch nicht KAPIERT, dass Zeiten sich ändern können und Menschen auch. Sie verstehen die Lieder wie sie sie verstehen wollen. Das ist abschreckend und sehr schade aber da sage ich Euch bestimmt nichts Neues?!
Nun was nicht ist kann ja noch werden; die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
So genug davon und zudem wie ich zu den Onkelz kam.
Mein Freund ist großer Onkelz Fan und konnte mich überreden mich näher mit den Jungs zu befassen. Ich besorgte sogar Konzertkarten und machte mir meinen eigenen Eindruck. Die Konzerte waren eine sehr positive Erfahrung, die Fans, die ich kennen lernte waren nett und sympathisch. An dieser Stelle, einen schönen Gruß an Michael aus Euskirchen.
Ich bekam die Gelegenheit mit den Bandmitgliedern zu sprechen und hautnah alles mitzuerleben. Die Jungs sind sympathisch und ich denke vor allem bodenständige Menschen geblieben, besonders Stephan, mit dem ich die Gelegenheit hatte, öfter zu reden. Ich bin froh diese Erfahrung gemacht zu haben. Ich möchte mich auch bei den Leuten hinter der Bühne bedanken, die sich rührend um mich gekümmert haben. Bleibt so wie Ihr seid, denn Ihr seid spitze.
Vielen herzlichen Dank an die Onkelz und vor allem viel viel Glück auf dem weiteren Weg.
Herzliche Grüße Sahar.
Ich habe noch ein paar Worte nachzuliefern. Nämlich die Abschlussparty im Café Keese auf der Reeperbahn. „Warum können keine Fans auf die Party?“ bin ich immer wieder gefragt worden. Wie soll das denn gehen, muss ich dann zurückfragen, wie stellt Ihr Euch das vor? Es sind ja Fans auf der Party, nur eben nicht so viele. In erster Linie ist so eine Tourabschlussparty mal eine Crewparty. Von den Onkelz für alle diejenigen organisiert, die sich 6 Wochen lang den Arsch aufgerissen haben, damit alles steht und flutscht und funktioniert und die Konzerte ein Erfolg werden. Security und Trucker, Stagehands und Roadies, Küche, Koch und Spüler, Licht und Ton, Rigging und Technik, Bühne und Projektion, Merchandise und Bandbetreuung, alle die vielen Leute, die man normalerweise nicht sieht, ohne die aber nichts funktionieren würde. Alle die waren am Dienstag abend eingeladen, dazu noch eine Handvoll glücklicher Fans, die einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Die Party selbst, ahja, was soll ich sagen. Ich kam spät und war noch sehr gestresst, brauchte mindestens eine Stunde und zwei Jackie/Cola zum Runterkommen. Kevin und Gonzo glänzten durch Abwesenheit. Kevin wahrscheinlich, weil er zu traurig war und nicht abstürzen wollte und Gonzo? Keine Ahnung, wahrscheinlich war ihm nicht nach Party zu Mute. Pe und Stephan waren auf alle Fälle da und feierten mit der Crew und mit ihren Freunden bis in die frühen Stunden. Der DJ hat zwar zwischenzeitlich genervt, aber im Großen und Ganzen war es schon ziemlich wild. Wunderbar auch die Stripperinnen, die Thomas Hess bis auf seine Shorts auszogen und ihn eincremten. Thomas verzog keine Miene, stoisch, versteinertes Gesicht, Hess halt. Titten in seinem Gesicht, Nippel, die gegen seine Nase dotzten, aber Thomas zuckt nicht einmal mit der Wimper. Cool sehr, sehr. Bis eines von den Mädels ihm dann irgendetwas total Doofes ins Ohr flüsterte und er plötzlich losprustete. Ein großer Spaß. Spätestens seit dem Moment ist Hess mein Held, auch wenn er mich auf dieser Tour fast bis zur Weißglut genervt hat. Gegen 09:00 am nächsten Morgen übergebe ich meinen Audi an Micha von der Filmcrew und steige, zum ersten mal während dieser Tour, in den Bandbus und fahre mit Stephan, seiner Frau, Axel, Kia aus Peru, dem Management und noch ein paar Freunden nach Frankfurt. Müde, stinkend, leer. Ich fühle mich, als wenn man mir ein Körperteil amputiert hätte, was ich gar nicht kannte, aber trotzdem vermissen werde.
Gruss und nochmal Gruss
Ed
P.S. Kein P.S.
olourline Arena
|
![]() |