05.09.2004 Basel, Schweiz, St. Jakob Halle So, so, „abgestumpft gegenüber catchy melodien“, ja? Wer konnte denn gestern bei George Michael und Mary J. Blidge mitsingen, he? Und wer hat sogar zugegeben, dass er einstmals eine „Frankie goes to Hollywood“ Platte besaß? Auch wenn ich auf das warme Getucke im Radio von Ulm nach Basel überhaupt nicht stehe, und auch wenn ich bei den Pet Shop Boys oder den Fine Young Cannibals Pickel kriege, so heißt das noch lange nicht, dass ich nicht auch musikalische Leichen im Keller habe. Aber eins wollen wir mal festhalten, als Till geboren wurde, hatte ich schon ein ganzes Jahr mein Abi in der Tasche, was uns, Till und mich, also heute in einen merkwürdigen Generationsdisput gestürzt hat. Man müsse bei diesem Popterror mitmachen und sich integrieren, so Till´s abstruse Logik, um ihn kennenzulernen, um ihn anarchisch auszuspionieren und um ihn später aus einer sicheren Position heraus dissen zu können. Und man müsse auch Tanzstunden in seiner Jugend nehmen. Das nennt er dann „Auflehnung gegen das Rock´n Roll-Bürgertum“. Wow! Ich wusste, dass so etwas irgendwann einmal passieren würde. Deswegen habe ich auch keine Kinder. Die Onkelz werden mit ihrem Nachwuchs noch ihr blaues Wunder erleben. „Papa, ich will mich aber nicht tätowieren lassen und ich will auch nichts von Deinen Drogen!“ Verdammt inflationärer Werteverfall... Wie soll das denn nun funktionieren Till? Muss ich mir jetzt dieses Dragostea-Chart-Gesülze erst anhören und gut finden, um es anschließend scheiße finden zu dürfen? Wieso kann ich es denn nicht gleich ablehnen? Prophylaktisch sozusagen? Till war ja heute der Meinung, dass wir, da wir ja kein rumänisch könnten, gar nicht wüssten, wovon dieser Song eigentlich handelte. Möglicherweise ginge es ja um die humanitäre Katastrophe in Rumänien, nach dem Sturz Caucescus. Also könne man auch erstmal vorsichtshalber mitsingen. Na klar, gecastete Regimekritik. Molotov Cocktail ja, aber gut aussehen dabei. Hey wer weiß... Wir Ihr seht, ist es uns bis jetzt noch nicht langweilig geworden. Die Navi-Computer-Schnecke in unserem A6 hat uns gestern 100 Kilometer in die falsche Richtung geschickt und die schweizer Zollbeamten waren extrem höflich und haben die Trucks gegen einen Stapel Autogrammkarten passieren lassen. Aber ansonsten ist gestern abend nicht mehr viel passiert. Heute jedoch zeigt sich die Schweiz von ihrer schönsten Seite. 29°C und blauer Himmel. Nach einem grotesk teuren Frühstück bei Starbucks inspizieren wir die Halle und die nähere Umgebung. 500m hinter der St. Jakob Halle, gleich neben dem Stadion gibt es einen kleinen Fluß, in dem es sich hervorragend baden läßt. Die Crew, bestehend aus Truckfahrern und Aufbauhelfern, angeführt von Thomas Hess läd die Mädels aus dem Catering am Vormittag zu einem Arsch-rate-Contest ein. 21 Truckerärsche in Farbe fotografiert und auf Din A 4 Papier gezogen hängen an der Wand des Catering und sollen von den Damen erraten werden. „Ordnen Sie die vorliegenden Ärsche dem passenden Truckfahrer zu!“ Ob die Jungs eine entsprechende Gegenveranstaltung wie etwa das von Thomas Hess spontan geforderte „Nippelraten“ geboten bekommen, bleibt vorerst abzuwarten. Von derlei Pornographie und dem zunehmenden Moralverfall innerhalb der Crew deutlich abgeschreckt ziehen wir uns zu besagtem Badefluss zurück und geben uns ganz der erotischen Fotografie hin. David Hamilton´s „zärtliche Cousinen“ oder besser „zärtliche Cousins“ im Kopf, proben wir mit Weichzeichner und Schwuli-Filter auf der Kamera die moderne Aktfotografie und Esther Williams inspirierte Flachwasser Arschbomben. Sehr, sehr witzig. Nicht so witzig dagegen sind die vereinzelten Screwdriver T-shirts vor der Halle. Die schweizer Toleranzschwelle liegt ja bekanntermaßen so hoch, dass hier jeder mit Hakenkreuzen und ähnlichem Klimbim rumlaufen darf. Aber eben nicht auf einem Onkelzkonzert. Am Arsch. Und so wundere ich mich auch nicht, dass der Typ sich wundert, als er rausfliegt. Neutralität vortäuschen, aber heimlich das Nazikoks wegschnuppen, das haben wir besonders gerne. Ansonsten Spitzenpublikum. Es sind eben nur die genetisch/intellektuell benachteiligten Einzeldeppen die unangenehm auffallen und manchmal tatsächlich über das doch bei Weitem überwiegend coole Publikum hinwegzutäuschen drohen. Aber mir macht Ihr nix vor, Ihr Schweizer, Ihr seid in der Mehrzahl geil, das weiß ich und hab´s heute wieder gesehen. Schade, dass es das letzte Onkelzkonzert bei Euch war. Ich hatte schon in Pratteln im letzten Jahr während der Clubtour viel Spaß, aber Geschichten enden nun mal so. Die Wonderfools hatten es heute wieder ein wenig schwerer. Es flogen zwar nicht mehr so viele Becher, aber wirklich abgegangen ist das Publikum bei den Norwegern nicht. Womit ich sagen möchte, dass sich das Publikum fast gar nicht bewegt hat und einfach nur rum stand, die Vorband konsumierend. Von Euphorie fehlte da jede Spur. Somit bekam ihr Song „Fight for your money“ noch eine Spur Extra Authentizität. Die Onkelz dagegen, oh Mann, kaum zu halten war die Fanmenge in den ersten 50 Reihen. Was für ein Anfang. Die ersten beiden Nummern „Hier sind die Onkelz“ und „Lieber stehend sterben“ wurden wie immer gleich mal ohne Pause weggefetzt. Da gab es dann vorne links diese frisch aufsilikonierte Lack-Ische, die jedenfalls recht routiniert ihre Titten zur Prüfung vorlegte oder besser gesagt gleich ohne Oberteil auf den Schultern irgend eines armen Tropfes bestimmt eine Stunde lang ihre verschiedenen Posen durchprobierte. Mit Onkelzschal und auch ohne, Hauptsache es wippte. Wie auch immer, bei „Stunde des Siegers“ verwandelte sich der Moschpit alsdann in eine Art reißenden Strudel, der auch die barbusige Uschi und ihren devoten Atlas mit sich riss. Höchst spaßig anzuschauen, wie sie erst den Halt verlor und dann sang- und klanglos im Fan-Ozean versank. Großes Gefühlskino kehrte zurück auf die Leinwand, als endlich (doch wieder!) „Für immer“ in Originalversion gespielt wurde. Auch das sind Onkelz und auch das wird abgefeiert. Feuerzeuge, Wunderkerzen und „sag´ mir was hast Du getan...“-Tränen allenthalben. Der Pogoknaller „gehasst, verdammt, vergöttert“ und die Mutter aller Hymnen „Erinnerungen“ beendeten, wie bei den vorangegangenen Konzerten den ersten Satz. 4 Onkelz in Bestform und was noch wichtiger war, in bester Spiellaune. Für mich persönlich ein echtes Highlight hier in Basel. Auch wenn mir die Tour bis jetzt viel Spaß macht, bin ich immer irgendwie froh, wenn wir den Süden hinter uns lassen. Ich weiß auch nicht warum, aber ich freue mich bei jeder Tour auf Städte wie Hannover, Bremen, Berlin, Dortmund oder Hamburg. Möglicherweise ist es nur Hype, aber ich glaube dennoch, dass diese Städte absolute Onkelzhochburgen sind und die Stimmung dort unübertroffen ist. Was definitiv auffällt ist das doch stark gesunkene Durchschnittsalter der Fans. Till hatte es schon angesprochen, entweder die Neffen und Nichten werden jünger oder die Onkelz werden älter. Wahrscheinlich beides zusammen. Die Tränen während des letzten Songs müssen daher auch unterschiedlich gewertet werden. Der eine weint, weil er die Band, die ihn ein Leben lang begleitet hat, verliert, der andere, weil er sie so spät entdeckt hat und sie ihm schon so früh wieder genommen wird. In jedem Falle eine traurige Angelegenheit und bevor ich hier sentimental werde, schließe ich für heute und übergebe an meinen popmusikinfiltrierten Beifahrer. „Abgestumpft gegenüber catchy Melodien...“ pah. grinsende Grüße Ed

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